INSEKTEN – Eine subjektive Bestandsaufnahme 

Die heftigen Veränderungen in der Umwelt werden immer offensichtlicher. Im Mittelpunkt des Interesses steht vor allem das Klima. Abseits der von Medien begleiteten Klimadiskussion bahnt sich ein Umbruch an, der in keiner Weise in seinen Auswirkungen dem der Klimaveränderungen nachsteht. Das Insektensterben: 60% aller weltweit bekannten Tierarten sind damit mehr oder weniger unmittelbar betroffen. Die Auswirkungen auf alle anderen Tierarten und auch auf Pflanzen ist immens. Die Hintergründe der Ursachen sind weitgehend bekannt.

Inhalt

INSEKTEN IN EINER VOM MENSCHEN GEPRÄGTEN UMWELT

Insekten werden auch als Kerbtiere oder Kerfe beschrieben. Sie sind die artenreichste Klasse der Gliederfüßer (Arthropoda) und zugleich die mit großem Abstand auch artenreichste Klasse der Tiere überhaupt. Beinahe eine Million Insektenarten sind bisher bekannt. Damit gehören mehr als 60 Prozent aller beschriebenen Tierarten zu den Insekten. Das sind erst die bekannten Arten. In den tropischen Wäldern der Erde vermutet man noch ein mehrfaches an unbekannten Arten.
Der Begriff „Insekten“ wird dieser Tage häufig gebraucht, wobei viele Menschen damit nach wie vor eher den Gedanken an lästige, wenn nicht sogar unangenehme Plagegeister verbinden. Am Besten mag noch die Honigbiene in diesem Ranking abschneiden, sie ist fleißig und kommt man ihr nicht zu nahe, was ja im Supermarkt selten der Fall ist, ist die Hinterlassenschaft der Biene von recht angenehmer Süße.

Vor ein paar Jahren war es erstmals kritisch für die Bienen, es wurde von einem Bienensterben im großen Ausmaß gesprochen. Schade um die summenden Tierchen, aber das Leben geht weiter.
Die Bienen starben dann auch. Plötzlich wurde klar, dass mit ihnen nicht nur der Honig knapp werden würde. Der Biobauer wurde natürlich aktiv, aber selbst der Glyphosatbauer horchte auf. Wer sollte die Obstbäume, wer die Energierapsfelder bestäuben? Kein Obst, kein Biogas für unsere CO2-neutrale Energieerzeugung?

Ein Szenario wie aus einem Endzeitfilm. Würde das endlich zu Konsequenzen führen? Hätte man meinen können, aber es gab wohl wichtigere Dinge.

Heute, nur wenige Jahre später, ist nun klar, was am Exempel der Biene statt gefunden hat, gilt für die gesamte Insektenwelt. 72% aller Insekten (77% der Fluginsekten), man spricht schön umschreibend von Insektenbiomasse, sind in weiten Teilen Deutschlands verschwunden. In gesamt Europa ist diese Tendenz, mehr oder weniger stark, zu beobachten. Was dieser Rückgang im Einzelnen zu bedeuten hat, ist noch gar nicht absehbar, da jede Art ihren ganz bestimmten Lebensraum und somit Funktion in der Natur hat. Aber schon jetzt steht fest, Insekten sind von außerordentlicher Bedeutung, unter anderem für die Bestäubung von Pflanzen. Sie stellen die grundlegende Nahrungsquelle für viele Vögel, Säugetiere und Amphibien dar. 

Laut einem Papier des BMU (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit)  sind etwa 80 Prozent der Wildpflanzen von der Bestäubung durch Insekten abhängig. 60 Prozent der Vögel sind auf Insekten als Nahrungsquelle angewiesen. (Bundesamt für Naturschutz „Daten zur Natur 2016)

Die äußerst komplizierte Verknüpfung zwischen den Arten bis hin zu den Abhängigkeiten von Insekten und Pflanzen sind noch lange nicht geklärt. Wir stehen erst am Anfang des Verstehens und Begreifens. Die Dringlichkeit ist nun bis in die höheren Amtsstuben vorgedrungen. Für 2019 ist ein 100 Millionen € Etat für den Insektenschutz geplant.

…Für den Schutz von Bienen und anderen Insekten will Bundesumweltministerin Svenja Schulze künftig mehr Geld ausgeben und die Regeln fürs Düngen und den Pestizideinsatz verschärfen. Die SPD-Politikerin präsentierte Eckpunkte zum „Aktionsprogramm Insektenschutz“, demzufolge der Bund jährlich 100 Millionen Euro bereitstellen soll, davon allein 25 Millionen Euro für Forschung und die Bestandsaufnahme und Überwachung der Insektenpopulation.

Im Zentrum des Aktionsplans stünden ein „grundlegender Wandel beim Fördersystem für die Landwirtschaft und beim Umgang mit Pestiziden“, erklärte Schulze. „Das Insektensterben zu stoppen, ist eine zentrale politische Aufgabe unserer Zeit“, fuhr die Ministerin anlässlich der Vorstellung der Eckpunkte fort. „Wenn wir dem Insektensterben nicht bald Einhalt gebieten, gefährden wir nicht nur unsere Vogelwelt und die Natur insgesamt, sondern auch unsere Landwirtschaft und andere Wirtschaftszweige.“…(Quelle: https://www.tagesschau.de/inland/insektenschutz-101.html)

DIE PROBLEMVERURSACHER STEHEN SCHON LANGE FEST

Die industrielle Landwirtschaft mit ihren Monokulturen und dem damit verbundenen Einsatz von diversen Giften, stehen wohl ganz oben auf der Liste. Überschaut man im Frühjahr von einer Anhöhe aus die Landschaft, mit ihren weit ausgedehnten Feldern, die in fröhlichem Raps-Gelb erblühen, so wird schnell klar, dass solche Felder für die meisten Insekten eine Wüste darstellen. Sie überqueren schlichtweg diese Gebiete nicht mehr. Kleine Inseln, wie lokale Naturschutzgebiete, werden regelrecht abgeschnitten. Ein gutes Beispiel ist das „Ruhlsdorfer Kalkmoor“ in Brandenburg, das wir schon seit Jahren beobachten. Eingeschlossen von Raps- und Maisfeldern, die sich bis an die unmittelbaren Grenzen des NSG ziehen, ist eine Ausdünnung der Artenvielfalt zu beobachten.

Selbst größere ökologische bewirtschaftete Landräume, wie z. B. das Demeter Anbaugebiet in der Nähe von Chorin, sind nach unseren Beobachtungen vom Rückgang der Insektenfauna betroffen.

Auch eine nur zeitlich begrenzte Zulassung von landwirtschaftlichen Giften, wie bei Glyphosat auf 5 Jahre geschehen, ist hier nur wenig hilfreich und durchaus kein Grund zur Euphorie. Hier ist ein fundamentales Umdenken notwendig, wie wir mit unserer Umwelt und den landwirtschaftlichen Böden im Besonderen umgehen müssen.

In dem BMU-Papier „Daten zur Natur 2016“ heißt es wörtlich: „Die Ursachen des Insektenrückgangs sind vielfältig und insgesamt komplex. Zentrale Ursachen liegen in der mengen- und flächenmäßig hohen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln und anderen Pestiziden, dem Verlust der Strukturvielfalt mit einer Vielzahl an Blühpflanzen und der Intensivierung in der Agrarlandschaft, der Eutrophierung von Böden und Gewässern aufgrund von Nährstoffeinträgen sowie der Lichtverschmutzung in und um Siedlungen. Viele weitere Einflussfaktoren tragen darüber hinaus zum Verlust oder der Qualitätsverschlechterung von Insektenlebensräumen (unter anderem in Gewässern, Wiesen, Weiden, Äckern, Wäldern und Siedlungen) bei. Deshalb ist auch die Förderung der Wiederherstellung dieser Lebensräume in Qualität und Quantität sowie ihre Vernetzung wichtig.“ (Quelle: https://www.bmu.de/insektenschutz)

Eine wirklich beachtliche Summe von 100 Millionen € für den Insektenschutz stehen allerdings 2500 Millionen € für die Sub-vention der konventionellen Landwirtschaft gegenüber, der größte Etat in der EU.
So stehen die Zeichen nicht günstig für eine Änderung. Beispielsweise wird derzeit in Mecklenburg-Vorpommern auf politischer Ebene über die Verdopplung der Energieerzeugung aus Biogas diskutiert (11/2018) 

 

Von einem ökologischen Ansatz kann hier wohl keine Rede sein. Denn Bioenergie ist ein zweischneidiges Schwert. Über die Nachhaltigkeit entscheidet nicht zuletzt der Anteil der verwendeten Ausgangsstoffe und hier besonders der Einsatz von Pflanzen wie Mais, Roggen, Gras, Zucker- und Futterrüben im Verhältnis zu Mist, Gülle und Bioabfällen. Seit der Einführung des EEG ist die Anbaufläche für Energiepflanzen in Deutschland stark gestiegen, mit allen bekannten Folgen.
„Neben den vielen Vorteilen von Biogas sind durch die staatliche Förderung allerdings Fehlanreize gesetzt und Monokulturen gefördert worden. So stieg die Landnachfrage zum Anbau von Energiepflanzen, hauptsächlich Mais, stark an. Infolgedessen schossen die Pachtkosten von Agrarflächen in unangenehme Höhen. Des Weiteren ist der verstärkte Anbau von Energie- statt Nahrungspflanzen fraglich. Die Lebensmittelpreise sind auf Grund des verminderten Angebotes bereits gestiegen. Zudem zieht der zunehmende Import von Bio-Waren aus dem Ausland durch den Transport höhere CO2-Emissionen nach sich. Abgesehen davon beeinträchtigen die Monokulturen die Artenvielfalt.“ (Quelle: Biooekonomie BW https://www.biooekonomie-bw.de/de/fachbeitrag/dossier/biogas-die-energie-der-zukunft/)

Quelle: Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V. (FNR)

Anders ist es in der Schweiz, wo die Vergütung an den Mindestanteil (min 80 %) von Substraten wie Hofdünger gebunden ist.
Sicherlich ist die Faktenlage äußerst kompliziert und deshalb ist auch die Nachhaltigkeit schwer zu beurteilen. Deshalb beziehen wir uns hier nur auf die sichtbaren Auswirkungen in der Landschaft.

Änderungen im Klima sind eine weiter Ursache.
Insbesondere die letzten Monate haben in dramatischer Weise gezeigt, wie empfindlich das Ökosystem reagiert.

Die Dürre von mehr als einem halben Jahr hat die ohnehin schon reduzierte Insektenpopulation in weiten Teilen noch weiter zurück gedrängt, so dass wir auf der Suche nach filmbaren Objekten während unserer Drehtage kaum noch fündig wurden. Die Suche nach bestimmten Tierarten hatten wir spätestens seit Juli vollkommen aufgegeben. Es gab Gebiete, die fast verlassen von jedweden Insekten waren. Mit ihnen zogen natürlich all jene weg, deren Nahrungsbasis eine Insektenpopulation darstellt, wie Amphibien, Reptilien, Vögel, Spinnentiere etc.

Die Frage nach dem Umgang mit unseren Lebensgrundlagen wird immer drängender, insbesondere vor dem Hintergrund des sich stark verändernden Klimas. Laut Prognosen der Klimaforschung werden Wassermangel und hohe Temperaturen über weite Strecken der Vegetationsphase, aber auch darüber hinaus,  zur Normalität werden.

EIN UMDENKEN IN ALLEN BEREICHEN

Ein Umdenken wird nicht nur von der Landwirtschaft gefordert werden. 

Bei unseren Reisen dieses Jahr wurde uns klar wurde, dass alle Appelle und Forderungen von Organisationen an Politik und Wirtschaft von der Realität sehr bald überholt werden. Es wird nicht mehr um ein „Wollen“ oder „Nicht Wollen“, ein Abwägen von Interessen gehen, es wird recht bald nur noch ein „Müssen“ gehen.

Unsere Darstellung ist rein subjektiv. Wir können mit keinen statistisch relevanten Untersuchungen aufwarten. Dennoch basiert diese Einschätzung auf gesunde Beobachtungen über einen längeren Zeitraum hinweg. Diese Beobachtungen sind berufsbedingt von „höherer Auflösung“ im Detail gekennzeichnet und deshalb registrieren wir vielleicht sensibel kleinere Veränderungen.

Insekten sind ein Teil der Natur, wie auch wir Menschen. Dabei spielt es keine Rolle, ob hier in Deutschland, in Frankreich, Skandinavien oder an anderen Orten, die Probleme im Naturschutz sind grenzübergreifend. Mit dem Insektensterben stehen wir vor einer neuen Dimension der vom Menschen bedingten Veränderungen, die tief in die Natur und die Lebensprozesse eingreifen. Das Bienensterben ist dabei nur exemplarisch zu sehen. Die „Leere“ an Feldrändern und auf Wiesen spricht für sich. „Leere“ insofern, dass sich in diesen Biotopen kaum eine Artenvielfalt finden lässt. Insekten wie Schmetterlinge, Wildbienen, Hummeln und Käfer werden immer seltener oder verschwinden ganz. Der Prozess des Insektensterbens geht, wie in der Vergangenheit zu sehen, verhältnismäßig langsam voran, so langsam, dass man sich daran gewöhnt. Verhältnismäßig aber nur unter dem Aspekt, dass der Vorgang im Hinblick auf unsere schnelllebige Zeit langsam verläuft. Betrachtet man hingegen die Veränderungen unter dem Blickwinkel eines natürlich verlaufenden Prozesses, so ist die Geschwindigkeit geradezu rasant.  Mit anderen Worten, die Veränderungen in der Natur als Prozess ist zur Gewohnheit geworden. Erst der Vergleich mit Filmaufnahmen aus der Vergangenheit oder wenn man sich inmitten eines noch intakten Biotops aufhält, verdeutlichen die gravierenden Unterschiede. 

Das ist eine der Lehren aus unserer diesjährigen Reise zu besonderen Orten in Nordeuropa.

 

Trotz aller widrigen Umstände, wie Dürre, Hitze, Waldbrände war die Überraschung jedesmal um so nachhaltiger, zum Beispiel auf einer Wiese sich aufhalten zu dürfen, die diese Bezeichnung noch verdient. Eine Wiese mit einer schier endlosen Zahl von Pflanzenarten. Das Summen von diversen Wildbienen, vielen verschiedenen Schmetterlingsarten, einer großen Anzahl von Käfern, Spinnen usw. Dieses Erlebnis ist atemberaubend schön. Unübersehbar geht mit dem Reichtum an Insekten auch die Vielfalt der restlichen Tierwelt einher, allen voran die der Vögel.

NEOZONE – MULTIKULTI MIT FOLGEN

Eine weitere interessante Frage ist die Suche nach den sichtbaren, aber kleinen Veränderungen in der Umwelt in Form von eingewanderten Arten in der Tier- und Pflanzenwelt, sogenannte gebietsfremde Arten, die ohne Zweifel die entstandenen Freiräume besiedeln werden oder schon haben.

 

Hier ein paar recht aussagekräftige Zahlen, die man zu diesem Thema finden kann: 1149 Arten Neozoen, davon etabliert 264, der Rest ist noch nicht etabliert oder der Status ist fraglich (Quelle: Gebietsfremde Arten Positionspapier des Bundesamtes für Naturschutz ).

Immer wieder begegneten auch wir eingewanderten Tierarten während unserer Aufnahmen.
Besonders eindrucksvoll war im Spätherbst letzten Jahres das massenhafte Auftreten der Amerikanischen Kiefern- oder Zapfenwanze (Leptoglossus occidentalis), was auf den sehr langen, warmen und trockenen Sommer zurückgeführt werden kann. In ihrem Lebensraum, an Zweigen und Zapfen von Nadelgehölzen, sind die dunkelbraun gefärbten, etwa 20 mm großen Tiere kaum sichtbar. Sie bewegen sich eher langsam, sind aber dennoch gute Flieger. Im Herbst allerdings, auf der Suche nach sonnig warmen Plätzen, ließen sich die Tiere in sehr großer Zahl an Hauswänden nieder und gelangten durch geöffnete Fenster in die Innenräume. Auch wenn die Art als völlig harmlos eingestuft wird, so ist das massenhafte Auftreten eines erst seit 2006 in Deutschland vertretenen Neozons ein Hinweis auf die Veränderungen in der heimischen Natur.
Wir wollen im Jahr 2019 einen Projektschwerpunkt unserer Arbeit eigens auf invasive Tierarten legen und ggf. in den Folgejahren weiter führen. Dabei möchten wir nicht nur den Neozon an sich dokumentieren, sondern auch dessen neue natürliche Umgebung und, wenn möglich, die Veränderungen im Habitat, die die Ausbreitung begünstigen, sowie den Einfluss, den die eingewanderte Art selbst auf seine Umgebung ausübt.

UMWELTSCHUTZ UND NATURSCHUTZ = INSEKTENSCHUTZ

Während unserer Arbeit wurde uns auch klar, dass Naturschutz und Umweltschutz keine abstrakten Begriffe sind, deren Inhalt sich durch die Errichtung von einigen, oftmals weit auseinander liegenden Naturschutzgebieten füllen lassen. Die Welt der Insekten braucht das gesamte Land, wobei Land hier für die Gesamtheit an Seen, Flüssen, Mooren, Wälder, Felder und nicht zuletzt Refugien im urbaner Raum steht.
Hunderte Millionen Jahre der Anpassung und Spezialisierung lassen sich nicht in kurzfristige vom Menschen gemachte und nach seinen Bedürfnissen ausgerichteten Grenzen fassen. 

Die Verbundenheit der Insektenwelt mit der Welt aller anderen Tiere und Pflanzen, geht nicht nur die Landwirte etwas an. Klar ist auch, dass Natur und Umwelt zu schützen nicht allein Aufgabe der Wissenschaft oder Organisationen wie NABU oder WWF überlassen werden kann.

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