Artenreichtum: sind Käfer die größte Ordnung?

Die Ordnung der Käfer ist die artenreichste Ordnung innerhalb der Insekten.

Doch stimmt das wirklich?
Die Frage, welche Insektenordnung die artenreichste ist, ist seit langem Gegenstand von Diskusionen unter Entomologen. Traditionell gilt die Ordnung der Käfer (Coleoptera) als die artenreichste. Forschungsarbeiten deuten jedoch darauf hin, dass eher die Hymenoptera, zu denen Bienen, Ameisen und Wespen gehören oder Dipteren, zu denen Fliegen, Mücken und Gnitzen gehören, diesen Titel führen könnten.

Inhalt

Lucanus cervus

Die Faszination der Käfer

Die Welt der Käfer ist eine Welt vielfältiger Anpassungen und Strategien.
Sie präsentiert sich in einer schier unendlichen Palette von Formen, Farben und Lebensweisen. Von den kleinen, unscheinbaren Kurzflügelkäfern bis hin zu den beeindruckenden Bockkäfern, die Vielfalt der Käferarten, die man in Mitteleuropa entdecken kann, ist schier atemberaubend.

„God has an inordinate fondness for beetles“
J. B. S. Haldane

Seit jeher wurden Käfer als die artenreichste Ordnung, ja sogar als die artenreichste Tierordnung überhaupt beschrieben. Diese Ansicht war Mitte des 20. Jahrhunderts auch durchweg etabliert (Rogers, 2018). Tatsächlich wurden bis heute weltweit über 380.000 Arten beschrieben. Das sind weitaus mehr Arten, als in jeder anderen Ordnung. Aber spiegelt das ihre tatsächliche Vielfalt wider oder bedeutet das nur, dass Käfer historisch gesehen ein beliebteres Studienobjekt waren?

Bis ins 19. Jahrhundert hinein waren vor allem Käfer, aber auch Schmetterlinge aufgrund ihrer Auffälligkeit und „Sammelbarkeit“ hoch geschätzt und es war ein regelrechter Sport, die Tiere zu fangen, katalogisieren und zu vergleichen.
Es entstanden riesige Sammlungen, aus denen man später u. a. die immense Zahl an Käferarten beschrieb.

Bekannte Insektenarten nach Ordnungen weltweit, Stand 2020, BUND; Le Monde diplomatique; Heinrich-Böll-Stiftung

Die Hautflügler als Gegenkandidat

Doch im Verlauf der Zeit gab es immer wieder Arbeiten, die Zweifel an der tatsächlichen zahlenmäßigen Vorherrschaft der Käfer äußerte.

Diese Zweifel entstanden aus der Tatsache, dass die meisten Larven parasitischer Hautflügler, darunter Schlupf- und Gallwespen, Parasitoide anderer Insekten und gelegentlich auch anderer Gliederfüßer sind.


Die Larven von parasitoiden Hautflüglern entwickeln sich in- oder außerhalb ihrer Wirte. Das heißt, es wird ein Ei in oder an den Wirt gelegt, von dem die Parasitoiden-Larve zehrt und ihn bis zur Verpuppung tötet. Das unterscheidet die parasitoide Lebensweise von der parasitären, in der der Wirt in der Regel nicht getötet wird.

Von einigen parasitoiden Wespen weiß man, dass sie auf bestimmte Wirtsarten spezialisiert sind und so kam die Vermutung auf, dass mehr Hautflügler-Arten existieren müssten als Käfer. Denn die meisten holometabolen Insektenarten (Insekten mit einer vollkommenden Metamorphose) werden von mindestens einer Hautflüglerart parasitiert. 


Hautflügler sind in ihrer Artenvielfalt vor allem im Vergleich zu Käfern und Schmetterlingen schlecht erforscht. Das heißt, dass noch heute regelmäßig neue Arten beschrieben werden, auch aus Regionen, die als entomologisch gut erforscht gelten (bspw. Moser et al. 2023). Verlässliche Schätzungen zum tatsächlichen Artenreichtum von Hautflügler zu treffen ist daher schwierig bis unmöglich.

Das Wissensdefizit liegt zum einen an der oft geringen Größe vieler Arten (bspw. Apanteles adjunctus mit nur maximal 4mm), zum anderen an den unauffälligen Merkmalen, die viele der parasitoiden Wespen aufweisen. Auch gibt es nur wenige Experten in Deutschland, aber auch weltweit, die die Arten verlässlich unterscheiden können. Diese dadurch unvollständigen bzw. unvollständig aufgearbeiteten Sammlungen als Basis für regionale Schätzungen von Artenzahlen sorgen für unpräzise Verhältnisse der Artenzahlen unterschiedlicher Insektenordnungen. 


Aphidius spec.

Die Suche nach Antworten

Wie kann man diese Frage nun klären?

Die Studie „Quantifizierung des Unquantifizierbaren: warum Hymenoptera, nicht Coleoptera, die artenreichste Tierordnung ist“ (Forbes et al., 2018) hat sich dieser Frage angenommen und eine mathematische Formel entwickelt, um das Verhältnis von Parasitoiden zu Wirten berechnen zu können.

Man untersuchte so vier Wirts-Parasitoiden-Systeme in Nordamerika, die sehr gut dokumentiert waren. Für jedes einzelne System wurden Datensätze angelegt und verglichen. Es wurden Hautflüglerarten ignoriert, die einen Wirt außerhalb der untersuchten Wirtsgattung befallen oder deren Wirtsspektrum unbekannt war bzw. nur unvollständig untersucht wurde.

Man kam trotz der sehr konservativen Betrachtung auf das Ergebnis, dass die Hautflügler 2,5 bis 3,2 Mal mehr Arten aufweisen könnten als die Ordnung der Käfer. Selbst im System mit den geringsten Verhältnissen übertrafen die Hautflügler die Käfer immer noch um mehr als das 1,3-fache.

Die Autoren weisen jedoch darauf hin, dass es nun etwas voreilig sei, allein auf Grundlage dieser Berechnung Hautflügler als größte Insektenordnung zu führen.

Jedoch deuten weitere Forschungsarbeiten auf dasselbe Ergebnis hin.
So beispielsweise eine groß angelegte DNA-Barcoding Studie (vgl. Herbert et al., 2016) in Kanada. Diese kam zu dem Ergebnis, dass nicht nur Hautflügler, sondern auch Zweiflügler artenreicher als die Ordnung der Käfer sei.

Lagererzwespe (Lariophagus distinguendus)
Lariophagus distinguendus

Die Bedeutung der Artenvielfalt

Aber warum ist es überhaupt wichtig zu wissen, welche Ordnung die artenreichste ist?

Die Frage scheint erst einmal akademischer Natur. Doch das ist sie nicht. Denn das Wissen um die biologische Vielfalt hat auch Auswirkungen auf ihre Erhaltung und unser Verständnis von ökologischen Systemen. Mit fortschreitender Forschung wird unser Wissen über die natürliche Welt und ihrer Bewohner weiter zunehmen und ein zunehmend klares Bild von der unglaublichen Vielfalt des Lebens auf der Erde vermitteln. 

Denn wir können nur das schützen, was wir kennen. Und leider kennen wir noch viel zu wenig!

Ein großes Dankeschön geht an Jonathan Vogel für die Anregung und Korrektur dieses Beitrags.

Wildbiene in ihrer Bruthöhle

Weiterführende Links

Quellen

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